
HOCH-N-Professor im Dialog mit Fridays for Future
29. Januar 2020

Foto: Markus Spiske / unsplash
Anlässlich der Klimademonstration vom 24. Januar 2020 in München wurde Prof. Markus Vogt gebeten, zu den Demonstrierenden zu sprechen. Vogt forscht im Bereich katholischer Sozialethik an der Ludwig Maximilians Universität München. Im HOCHN-Projekt ist er als Teilleitung des Arbeitspakets Forschung maßgeblich in die Entwicklung eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses eingebunden. Die Rolle der Ethik in den Wissenschaften sowie das Freiheitspostulat werden von Vogt intensiv in den Diskurs innerhalb von HOCHN und darüber hinaus eingebracht. Seine Rede, die fünf Thesen umfasst, können Sie nachfolgend lesen und am Ende des Beitrags als pdf aufrufen.
Liebe Schülerinnen und Schüler, Studierende und Mitdemonstrierende.
Ich wurde gebeten, etwas zur Rolle der Wissenschaft für Klimaverantwortung zu sagen. Ich will dies in der Form von fünf Thesen tun:
1. Leaderships für eine kulturelle Revolution ausbilden
Die Klimakrise ist nur zu lösen mit einem tiefgreifenden Wandel der Vorstellungen von Fortschritt und Wohlstand. Es geht um einen umfassenden Werte- und Kulturwandel. Das Leitmotiv der Expansion der Macht über die Natur, das in den vergangen 500 Jahren so erfolgreich war, kann nicht mehr sinnstiftende Maxime sein. Die expansive Moderne ist an ihr Ende gekommen. Sie zerstört ihre eigenen Lebensgrundlagen. Das Programm der Zukunft heißt nicht Expansion, sondern Bändigung der Macht im Interesse globaler und intergenerationeller Fairness. Es geht um eine veränderte Geisteshaltung der Achtsamkeit und der Verantwortung. Papst Franziskus fasst die Aufgabe der Universitäten deshalb als „Ausbildung von leaderships für eine kulturelle Revolution“ zusammen.
2. Die Wissenschaften sind zugleich Teil der Lösung und Teil des Problems
Die Wissenschaften sind in der Wissensgesellschaft treibender Faktor der nötigen Transformation. Zugleich forscht und lehrt ein erheblicher Teil der derzeitigen Wissenschaften genau in den Paradigmen, die Gesellschaften in das ziellose „höher, schneller, weiter“ treiben. Wir haben das Phänomen des „rasenden Stillstandes“ oft auch in den Universitäten selbst: Mit viel Stress unter der Maxime des ständigen produktiven outputs in Prüfungen und Publikationen bleibt wenig Zeit, um gründlich in Muße nachzudenken und über den Tellerrand der Axiome und Paradigmen des jeweils eigenen Faches hinauszuschauen. Aber genau das bräuchte es. Universitäten müssen im Sinne des whole institution approach nachhaltiger werden in Forschung, Lehre, Capusmanagement, Dialog mit der Gesellschaft und Hochschulpolitik. Sie sollten glaubwürdig Wissen und eigenes institutionelles Handeln zusammenführen. Sie müssen selbst im Denken und Handeln den Wandel praktizieren, den sie von anderen wünschen.
3. Vorgelagertes Studienjahr „sustainability studies“
Ein möglicher Anfang für neue Impulse im Bereich der Bildung wäre ein dem Studium vorgelagertes Jahr der „sustainability studies“, also der Auseinandersetzung mit Klimawandel, Biodiversität und den Sustainable Development Goals (SDGs), aber auch den Bedingungen für gesellschaftlichen Wandel. Viele Schüler*innen, die jung an die Uni kommen, wissen nur, dass sie studieren wollen, aber noch nicht, was. So ein ökologisches Studium generale gäbe ihnen Zeit, ihre Entscheidung zu treffen und würde die Zahl der Studienwechsler*innen und -abbrecher*innen sicherlich verringern. Gelernt werden sollte vor allem die Befähigung zu kritischem Denken, also Einführungen in philosophisches und ethisches, ökologisches und gesellschaftswissenschaftliches Denken in vernetzter und fachübergreifender Perspektive. Die Frage der Überlebenssicherung im Anthropozän ist eine Querschnittsaufgabe, die neue Lernformate und curricula erfordert. Ich bin überzeugt, dass ein solches Uni-Eingangs-Studienjahr hoch attraktiv und auch für eine Vielzahl unterschiedlicher sich daran anschließender Studien nützlich wäre.
4. Transformative Wissenschaft als Zukunftsmodell
Die Universtäten und Hochschulen werden sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Nicht-Nachhaltigkeit befreien können. Es bedarf einer Zusammenarbeit mit Praktiker*innen aus Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien, um mehr Alltags- und Umsetzungsvernunft in die Wissenschaft zu bringen und um die Ergebnisse der Wissenschaft dort verständlich zu machen, wo Gesellschaft verändert werden kann. Es braucht eine Neuverortung der Diskursräume von Wissenschaft, was unter verschiedenen Stichworten wie Bürgerwissenschaft, transformative Wissenschaft oder sustainable science bereits intensiv diskutiert wird. Wissenschaftler*innen, Lehrende und Studierende müssen ihre Themen in die Gesellschaft, in die Stadt hinaus tragen, um eine echte Transformation zu erreichen.
5. Bedarf an Forschung zu sozialen Kipppunkten
Einen besonderen Bedarf für zukunftsfähige Wissenschaft sehe ich in der Transformationsforschung. Wir brauchen differenziertes Wissen, wie Wandel in komplexen Systemen geschieht und gesteuert bzw. beeinflusst und beschleunigt werden kann. Das Zeitfenster für den notwenigen Wandel by design statt by desaster wird sich schon sehr bald schließen. Bildung sollte auch zum Widerstand gegen die Trägheit des Gesellschaftssystems befähigen – in Teilen auch gegen die Rückwärtsgewandtheit und postfaktische Verleugnung der Herausforderungen. Es braucht Forschung zu sozialen Kipppunkten, die Revolutionen auslösen und Trägheiten überwinden können. Die Fridaydays4Future-Bewegung ist sehr nah dran ein einem solchen social tipping point und hat auf ungeahnte Weise die weltweite Debatte zu Klimaschutz und Zukunftsverantwortung verändert. Als Wissenschaftler bin ich auch ein wenig neidisch, dass dies Euch, der jungen Generation, gelungen ist, während wir alten Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten mit sehr begrenzter Resonanz dazu aufrufen. In Bezug auf die Frage, wie Wandel geht, können heute die Alten viel von den Jungen lernen. So ein wechselseitiges Lernen ist für mich auch eine schöne und ermutigende Idee von Universität und auch von Schule.
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